Der Pauperismus und dessen Bekämpfung durch
eine bessere Regelung der Arbeitsverhältnisse, Deutsche Vierteljahrs Schrift
1844, H. 3, S. 315 ff.
Aus allen Gauen Deutschlands erschallen seit einigen
Jahren und ganz besonders in neuester Zeit Klagen über steigende Armut und
Nahrungslosigkeit unter ganzen arbeitenden Klassen, über Verarmung ganzer
Bezirke und die Unzulänglichkeit der zur Linderung des Elends bestimmten
Almosen. Daß das leider auch bei uns so rasch um sich greifende Übel, der
Pauperismus, kein bloß vorübergehendes, etwa durch eine augenblickliche Stockung
des Handels oder durch ein Mißjahr hervorgerufenes sei, beweist der Umstand, daß
die Klagen seit Jahren immer häufiger und dringender werden, daß, mit einem
Worte, der Notstand bei uns wie anderwärts in einer regelmäßigen Progression
wächst ... [Als Belege] möchten wir folgende einfache Tatsachen, die einen
Zeitraum von nur wenigen Monaten (März bis Juli 1843) umspannen, zur verdienten
Beherzigung empfehlen. Aus Usingen im Herzogtum Nassau wird dem Frankfurter
Journal unter dem 23. Februar d. J. geschrieben: "Die Handelszuckungen in
Amerika haben auch bei uns unsägliches Elend erzeugt, denn die Spinnereien in
den gewerbefleißigen Orten Ansbach, Wehrheim, Oberhain usw. haben schon seit
vier bis fünf Monaten keine Arbeit, und was am furchtbarsten ist, nicht die
geringste Aussicht dazu. In dem großen und stark bevölkertenOrte Ansbach
herrscht eine entsetzliche Armut, die dem Jammer vollkommen gleichkommt, den uns
unlängst die Zeitungen aus England gemeldet haben. Scharen dieser
halbverhungerten und spärlich in Lumpen gehüllten Männer, Weiber und Kinder sind
gezwungen, um Almosen zu bitten usw. Hier muß Rat und Tat geschafft werden
auf jede Weise, denn das Unglück ist unverdient und diese brotlosen
Unglücklichen verlangen nur Arbeit." Aus dem Obererzgebirge schreibt die
Leipziger Allgemeine Zeitung unter dem 10. März: [...] "Ganz besonders
sind es die höchst gelegenen Grenzorte, die am meisten leiden, denen die
schleunigste Hilfe zuteil werden mag. Ein Teil des Obererzgebirges
erscheint jetzt fast als eine einzige wandernde Bettlerfamilie, welche Trost und
Hilfe sucht bei ihren ebenfalls verarmten Nachbarn! Die Ursache der so
unerwartet kommenden Verarmung liegt nicht in einer vorübergehenden
Handelsstockung allein, welche wir manchmal schon durchlebt, sondern in dem
Ereignisse, daß die Fabriken in England sich unserer Manufaktur bemächtigt
haben. Den Todesstoß hat wenigstens die Manufaktur der Klöppelei erhalten,
und dieser trifft Tausende von Menschen, denen der Klöppelsack Sommer und Winter
hindurch die milchgebende Kuh war." [...] In einem Artikel ... [im April]
sagt die Dorfzeitung: "In Kurhessen ist die Not an der hessisch-weimarschen
Grenze unbeschreiblich groß, weil das Spinnen von gekämmter Wolle, wodurch sich
die Bevölkerung der Umgebung von Vacha, Hersfeld, Eschwege, Eisenach usw. sonst
im Winter nährte, jetzt infolge der Überschwemmung Deutschlands mit englischen,
aus australischer Wolle gefertigten Garnen fast gänzlich aufgehört hat.
Die armen Spinner können ihren Bedarf an Kartoffeln nicht mehr bezahlen und
haben oft in drei bis vier Tagen kein Stück Brot zu essen. Auffallend
nimmt auch die Bettelei im Hennebergschen in Sachsen-Meiningen zu, und es
durchschwärmen oft ganze Scharen von Erwachsenen und Kindern die Dörfer, um sich
Brot und Kartoffeln zu erbetteln. In Suhl in der preußischen Provinz
Sachsen haben mehrere Barchentfabrikanten ihre Geschäfte eingestellt, wodurch
viele arme Weber nunmehr ganz brotlos geworden sind" . . . Nach offiziellen
Nachrichten belief sich die Anzahl der im Königreich Bayern im Jahre 1835/36
wegen Bettelns und Vagierens aufgegriffenen Individuen auf 15 924 Bettelmänner,
11 069 Bettelweiber, 4872 Bettelkinder, 23 804 Vagantenmänner, 13 414
Vagantenweiber und 2890 Vagantenkinder. Im Jahre 1838/39 war aber die Zahl
der aufgegriffenen Bettelmänner von 15 924 schon auf 17 788, die der
Bettelweiber von 11 069 auf 17 776 und die der Bettelkinder von 4872 auf 7081
gestiegen. Im ganzen wurden während der Jahre 1836/37, 1837/38 und 1838/39
im Königreich Bayern aufgegriffen: Bettler 65 653 Männer, 55 380 Weiber und 24
960 Kinder; Vaganten 92 516 Männer, 51 215 Weiber und 12 552 Kinder. Unter
dem 22. Juli berichtet die Dorfzeitung aus dem preußischen Voigtlande:
"Hungersnot ist nicht, wenn das Brot teuer ist, sondern wenn nicht so viel
verdient werden kann, um Brot genug kaufen zu können. Solche Hungersnot
ist bei uns. Die Strumpfwirkerei, der Hauptnahrungszweig bei uns, geht
jetzt so schlecht oder vielmehr lohnt so schlecht, daß kein Arbeiter sich darauf
ernähren kann. Daß viele mit ihren Kindern hungern müssen, läßt sich
denken. Es ist dies um so schlimmer, da bei uns im ganzen, außer bei
einigen Fabrikanten, wenig Wohlhabenheit zu finden ist. Um nun dem
Notstande einigermaßen zu steuern, wird ein Stück Chaussee gebaut, den Arbeitern
aber so viel bezahlt, daß es zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel ist.
Zu den schrecklichsten Mitteln nehmen die Menschen hier ihre Zuflucht, um nur
den Hunger zu stillen. Der Wasenmeister hatte z. B. einen räudigen Hund
geschlachtet, das Fleisch kochten jene und aßen es; er hatte ein krepiertes Kalb
in die Luderhütte getan, das haben jene gestohlen und verzehrt usw. usw."
Ebenso drohend, wenn auch stiller tritt der Pauperismus in Gemeinden auf,
die, der ganzen industriellen Bewegung der neuesten Zeit fremd, in
altherkömmlicher Weise dem Acker- und Weinbau, so wie dem Gewerbsbetriebe
obliegen. Wir sagen nicht zu viel, wenn wir behaupten, daß wenigstens ein
gutes Drittel der Gemeinden Deutschlands sich mehr und mehr in dieser Lage
befinde. Dort gibt es viele hunderte und tausende von Individuen, die bei
dem besten Willen, ihren Unterhalt durch eine entsprechende Arbeit zu verdienen,
dennoch ihre Bedürfnisse nur höchst unvollkommen zu befriedigen vermögen.
In der Regel gehören diese weniger größeren Gemeinden, wo ohnehin sich immer
mehr Gelegenheit zu einer lohnenden Beschäftigung zeigt, als Landgemeinden an,
deren immer steigende Bevölkerung auf ein gegebenes, beschränktes Areal
angewiesen ist. Welche Leiden da oft auf den engen Raum einer Quadratmeile
zusammengedrängt sind, welche Entsittlichung da leider mit der Not oft Hand in
Hand geht, weiß jeder, der überhaupt wissen und beobachten will [...]
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