Weber,
M., Die protestantische Ethik, hg. v. J. Winckelmann, 6. Aufl. Gütersloh 1981
[S. 9]
Vorbemerkung.
Universalgeschichtliche
Probleme wird der Sohn der modernen europäischen Kulturwelt unvermeidlicher-
und berechtigterweise unter der Fragestellung behandeln: welche Verkettung von
Umständen hat dazu geführt, daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur
hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch - wie wenigstens wir uns gern
vorstellen - in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und
Gültigkeit lagen ?
Nur im Okzident gibt
es "Wissenschaft" in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als
"gültig" anerkennen. Empirische Kenntnisse, Nachdenken über Welt- und
Lebensprobleme, philosophische und auch - obwohl die Vollentwicklung einer
systematischen Theologie dem hellenistisch beeinflußten Christentum eignet
(Ansätze nur im Islam und bei einigen indischen Sekten) - theologische
Lebensweisheit tiefster Art, Wissen und Beobachtung von außerordentlicher
Sublimierung hat es auch anderwärts, vor allem: in Indien, China, Babylon,
Aegypten, gegeben. Aber: der babylonischen und jeder anderen Astronomie fehlte
- was ja die Entwicklung namentlich der babylonischen Sternkunde nur um so
erstaunlicher macht - die mathematische Fundamentierung, die erst die Hellenen
ihr gaben. Der indischen Geometrie fehlte der rationale "Beweis":
wiederum ein Produkt hellenischen Geistes, der auch die Mechanik und Physik
zuerst geschaffen hat. Den nach der Seite der Beobachtung überaus entwickelten
indischen Naturwissenschaften fehlte das rationale Experiment: nach antiken
Ansätzen wesentlich ein Produkt der Renaissance, und das moderne Laboratorium,
daher der namentlich in Indien
[S. 10]
empirisch - technisch
hochentwickelten Medizin die biologische und insbesondere biochemische
Grundlage. Eine rationale Chemie fehlt allen Kulturgebieten außer dem Okzident.
Der hochentwickelten chinesischen Geschichtsschreibung fehlt das thukydideische
Pragma. Macchiavelli hat Vorläufer in Indien. Aber aller asiatischen Staatslehre
fehlt eine der aristotelischen gleichartigen Systematik und die rationalen
Begriffe überhaupt. Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts trotz
aller Ansätze in Indien (Mimamsa - Schule), trotz umfassender Kodifikationen
besonders in Vorderasien und trotz allem indischen und sonstigen Rechtsbücher,
die streng juristischen Schemata und Denkformen des römischen und des daran
geschulten okzidentalen Rechtes. Ein Gebilde ferner wie das kanonische Recht
kennt nur der Okzident.
Aehnlich in der Kunst.
Das musikalische Gehör war bei anderen Völkern anscheinend eher feiner
entwickelt als heute bei uns; jedenfalls nicht minder fein. Polyphonie
verschiedener Art war weithin über die Erde verbreitet, Zusammenwirken einer
Mehrheit von Instrumenten und auch das Diskantieren findet sich anderwärts.
Alle unsere rationalen Tonintervalle waren auch anderwärts berechnet und
bekannt. Aber rationale harmonische Musik: - sowohl Kontrapunktik wie
Akkordharmonik, - Bildung des Tonmaterials auf der Basis der drei Dreiklänge
mit der harmonischen Terz, unsre, nicht distanzmäßig, sondern in rationaler
Form seit der Renaissance harmonisch gedeutete Chromatik und Enharmonik, unser
Orchester mit seinem Streichquartett als Kern und der Organisation des
Ensembles der Bläser, der Generalbaß, unsre Notenschrift (die erst das
Komponieren und Ueben moderner Tonwerke, also ihre ganze Dauerexistenz
überhaupt, ermöglicht), unsre Sonaten, Symphonien, Opern, - obwohl es
Programmusik, Tonmalerei, Tonalteration und Ghromatik als Ausdrucksmittel in
den verschiedensten Musiken gab, - und als Mittel zu dem alle unsre
Grundinstrumente: Orgel, Klavier, Violine: dies alles gab es nur im Okzident.
Spitzbogen hat es als
Dekorationsmittel auch anderwärts,
[S. 11]
in der Antike und in
Asien, gegeben; angeblich war auch das Spitzbogen - Kreuzgewölbe im Orient
nicht unbekannt. Aber die rationale Verwendung des gotischen Gewölbes als
Mittel der Schubverteilung und der Ueberwölbung beliebig geformter Räume und,
vor allem, als konstruktives Prinzip großer Monumentalbauten und Grundlage
eines die Skulptur und Malerei einbeziehenden Stils, wie sie das Mittelalter
schuf, fehlen anderweitig. Ebenso aber fehlt, obwohl die technischen Grundlagen
dem Orient entnommen waren, jene Lösung des Kuppelproblems und jene Art von
"klassischer" Rationalisierung der gesamten Kunst - in der Malerei
durch rationale Verwendung der Linear- und Luftperspektive - welche die
Renaissance bei uns schuf. Produkte der Druckerkunst gab es in China. Aber eine
gedruckte: eine nur für den Druck berechnete, nur durch ihn lebensmögliche
Literatur: "Presse" und "Zeitschriften" vor allem, sind nur
im Okzident entstanden. Hochschulen aller möglichen Art, auch solche, die
unsern Universitäten oder doch unsern Akademien äußerlich ähnlich sahen, gab es
auch anderwärts (China, Islam). Aber rationalen und systematischen Fachbetrieb
der Wissenschaft: das eingeschulte Fachmenschentum, gab es in irgendeinem an
seine heutige kulturbeherrschende Bedeutung heranreichenden Sinn nur im
Okzident. Vor allem: den Fachbeamten, den Eckpfeiler des modernen Staats und
der modernen Wirtschaft des Okzidents. Für ihn finden sich nur Ansätze, die
nirgends in irgendeinem Sinn so konstitutiv für die soziale Ordnung wurden wie
im Okzident. Natürlich ist der "Beamte", auch der arbeitsteilig
spezialisierte Beamte, eine uralte Erscheinung der verschiedensten Kulturen.
Aber die absolut unentrinnbare Gebanntheit unserer ganzen Existenz, der
politischen, technischen und wirtschaftlichen Grundbedingungen unseres Daseins,
in das Gehäuse einer fachgeschulten Beamten organisation, den technischen,
kaufmännischen, vor allem aber den juristisch geschulten staatlichen Beamten
als Träger der wichtigsten Alltagsfunktionen des sozialen Lebens, hat kein Land
und keine Zeit in dem Sinn gekannt, wie der moderne Okzident. StändischeOrgani
[S. 12]
sation der politischen
und sozialen Verbände ist weit verbreitet gewesen. Aber schon den Ständestaat:
"rex et regnum", kannte im okzidentalen Sinn nur der Okzident. Und
vollends Parlamente von periodisch gewählten "Volksvertretern", den
Demagogen und die Herrschaft von Parteiführern als parlamentarisch
verantwortliche "Minister" hat - obwohl es natürlich
"Parteien" im Sinn von Organisationen zur Eroberung und Beeinflussung
der politischen Macht in aller Welt gegeben hat - nur der Okzident
hervorgebracht. Der "Staat" überhaupt im Sinn einer politischen
Anstalt, mit rational gesatzter "Verfassung", rational gesatztem
Recht und einer an rationalen, gesatzten Regeln: "Gesetzen",
orientierten Verwaltung durch Fachbeamte, kennt, in dieser für ihn wesentlichen
Kombination der entscheidenden Merkmale, ungeachtet aller anderweitigen Ansätze
dazu, nur der Okzident.
Und so steht es nun
auch mit der schicksalsvollsten Macht unsres modernen Lebens: dem Kapitalismus.
"Erwerbstrieb",
"Streben nach Gewinn", nach Geldgewinn, nach möglichst hohem
Geldgewinn hat an sich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen. Dies Streben
fand und findet sich bei Kellnern, Aerzten, Kutschern, Künstlern, Kokotten,
bestechlichen Beamten, Soldaten, Räubern, Kreuzfahrern, Spielhöllenbesuchern,
Bettlern: - man kann sagen: bei "all sorts and conditions of men", zu
allen Epochen aller Länder der Erde, wo die objektive Möglichkeit dafür
irgendwie gegeben war und ist. Es gehört in, die kulturgeschichtliche
Kinderstube, daß man diese naive Begriffsbestimmung ein für allemal aufgibt.
Schrankenloseste Erwerbsgier ist nicht im mindesten gleich Kapitalismus, noch
weniger gleich dessen "Geist". Kapitalismus kann geradezu identisch
sein mit Bändigung, mindestens mit rationaler Temperierung, dieses irrationalen
Triebes. Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn, im
kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb: nach immer erneutem
Gewinn: nach "Rentabilität". Denn er muß es sein. Innerhalb einer
kapitalistischen Ordnung der gesamten Wirtschaft würde ein kapitalistischer
[S. 13]
Einzelbetrieb, der sich nicht an der Chance
der Erzielung von Rentabilität orientierte, zum Untergang verurteilt sein. -
Definieren wir zunächst einmal etwas genauer als es oft geschieht. Ein
"kapitalistischer" Wirtschaftsakt soll uns heißen zunächst ein
solcher, der auf Erwartung von Gewinn durch Ausnützung von Tausch- Chancen
ruht: auf (formell) friedlichen Erwerbschancen also. Der (formell und aktuell)
gewaltsame Erwerb folgt seinen besonderen Gesetzen und es ist nicht zweckmäßig
(so wenig man es jemand verbieten kann) ihn mit dem (letztlich) an Tauschgewinn
- Chancen orientierten Handeln unter die gleiche Kategorie zu stellen1). Wo
kapitalistischer Erwerb rational erstrebt wird, da ist das entsprechende
Handeln orientiert an Kapitalrechnung. Das heißt: es ist eingeordnet in eine
planmäßige Verwendung von sachlichen oder persönlichen Nutzleistungen als
Erwerbsmittel derart: daß der bilanzmäßig errechnete Schlußertrag der
Einzelunternehmung an geldwertem Güterbesitz (oder der periodisch bilanzmäßig
errechnete Schätzungswert des geldwerten Güterbesitzes eines kontinuierlichen
Unternehmungsbetriebs) beim Rechnungsabschluß das "Kapital": d. h.
den bilanzmäßigen Schätzungswert der für den Erwerb durch Tausch verwendeten
sachlichen Erwerbsmittel übersteigen (bei der Dauerunternehmung also: immer
wieder übersteigen) soll. Einerlei ob es sich um einen Komplex von in natura
einem reisenden Kaufmann in Kommenda gegebenen Waren handelt, deren
Schlußertrag wiederum in erhandelten anderen Waren in natura bestehen kann,
oder: um ein Fabrikanwesen, dessen Bestandteile Gebäude, Maschinen, Vorräte an
Geld, Rohstoffen, Halb- und Fertigprodukten, Forderungen darstellen, denen
Ver-bindlichkeiten gegenüberstehen: - stets ist das Entscheidende: daß eine
Kapitalrechnung in Geld aufgemacht wird, sei es nun in modern buchmäßiger oder
in noch so primitiver und oberflächlicher Art. Sowohl bei Beginn des
Unternehmens: Anfangsbilanz, wie vor jeder einzelnen Handlung: Kalkulation, wie
bei der Kontrolle und Ueberprüfung der Zweckmäßigkeit: Nachkalkulation, wie
beim Abschluß behufs Feststellung, was als
[S. 14]
"Gewinn"
entstanden ist: Abschlußbilanz. Die Anfangsbilanz einer Kommenda ist z. B. die
Feststellung des zwischen den Parteien gelten sollenden Geldwertes der
hingegebenen Güter, - soweit sie nicht schon Geldform haben -, ihre
Abschlußbilanz die der Verteilung von Gewinn oder Verlust am Schluß zugrunde
gelegte Abschätzung; Kalkulation liegt - im Rationalitätsfall - jeder einzelnen
Handlung des Kommendanehmers zugrunde. Daß eine wirklich genaue Rechnung und
Schätzung ganz unterbleibt: rein schätzungsmäßig oder einfach traditionell und
konventionell verfahren wird, kommt in jeder Form von kapitalistischer
Unternehmung bis heute vor, wo immer die Umstände nicht zu genauer Rechnung
drängen. Aber das sind Punkte, die nur den Grad der Rationalität des
kapitalistischen Erwerbs betreffen.
Es kommt für den
Begriff nur darauf an: daß die tatsächliche Orientierung an einer Vergleichung
des Geldschätzungserfolges mit dem Geldschätzungseinsatz, in wie primitiver
Form auch immer, das wirtschaftliche Handeln entscheidend bestimmt. In diesem
Sinne nun hat es "Kapitalismus" und "kapi-talistische"
Unternehmungen, auch mit leidlicher Rationalisierung der Kapitalrechnung, in
allen Kulturländern der Erde gegeben, soweit die ökonomischen Dokumente
zurückreichen. In China, Indien, Babylon, Aegypten, der mittelländischen
Antike, dem Mittelalter so gut wie in der Neuzeit. Nicht nur ganz isolierte
Einzelunternehmungen, sondern auch Wirtschaften, welche gänzlich auf immer neue
kapitalistische Einzelunternehmungen eingestellt waren und auch kontinuierliche
"Betriebe", - obwohl gerade der Handel lange Zeit nicht den Charakter
unsrer Dauerbetriebe, sondern wesentlich den einer Serie von
Einzelunternehmungen an sich trug und erst allmählich innerer
("branchenmäßig" orientierter) Zusammenhang in das Verhalten gerade
der Großhändler hineinkam. Jedenfalls: die kapitalistische Unternehmung und
auch der kapitalistische Unternehmer, nicht nur als Gelegenheits-, sondern auch
als Dauerunternehmer, sind uralt und waren höchst universell verbreitet.
[S. 15]
Nun hat aber der
Okzident ein Maß von Bedeutung und, was dafür den Grund abgibt: Arten, Formen
und Richtungen von Kapitalismus hervorgebracht, die anderwärts niemals
bestanden haben. Es hat in aller Welt Händler: Groß- und Detailhändler, Platz-
und Fernhändler, es hat Darlehensgeschäfte aller Art, es hat Banken mit höchst
verschiedenen, aber doch denjenigen wenigstens etwa unsres 16. Jahrhunderts im
Wesen,ähnlichen Funktionen gegeben; Seedarlehen, Kommenden und kommanditeartige
Geschäfte und Assoziationen, sind auch betriebsmäßig, weit verbreitet gewesen.
Wo immer Geldfinanzen der öffentlichen Körperschaften bestanden, da erschien
der Geldgeber: in Babylon, Hellas, Indien, China, Rom: für die Finanzierung vor
allem der Kriege und des Seeraubes, für Lieferungen und Bauten aller Art, bei
überseeischer Politik als Kolonialunternehmer, als Plantagenerwerber und
-betreiber mit Sklaven oder direkt oder indirekt gepreßten Arbeitern, für
Domänen-, Amts- und vor allem: für Steuerpacht, für die Finanzierung von
Parteichefs zum Zwecke von Wahlen und von Kondottieren zum Zweck vun Bürgerkriegen
und schließlich: als "Spekulant" in geldwerten Chancen aller Art.
Diese Art von Unternehmerfiguren: die kapitalistischen Abeuteurer, hat es in
aller Welt gegeben. Ihre Chancen waren - mit Ausnahme des Handels und der
Kredit- und Bankgeschäfte - dem Schwerpunkt nach entweder rein irrational -
spekulativen Charakters oder aber sie waren an dem Erwerb durch Gewaltsamkeit,
vor allem dem Beuteerwerb aktuell - kriegerischer oder chronisch - fiskalischer
Beute (Untertanen - Ausplünderung), orientiert.
Der Gründer-,
Großspekulanten-, Kolonial- und der moderne Finanzierungskapitalismus schon im
Frieden, vor allem aber aller spezifisch kriegsorientierte Kapitalismus tragen
auch in der okzidentalen Gegenwart noch oft dies Gepräge und einzelne - nur:
einzelne - Teile des internationalen Großhandels stehen ihm, heute wie von
jeher, nahe. Aber der Okzident kennt in der Neuzeit daneben eine ganz andere
und nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus:
[S. 16]
die rational -
kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit. Nur Vorstufen dafür
finden sich anderwärts. Selbst die Organisation unfreier Arbeit hat ja nur in
den Plantagen und, in sehr begrenztem Maß, in den Ergasterien der Antike eine
gewisse Rationalitätsstufe erreicht, eine eher noch geringere in den Fronhöfen
und Gutsfabriken oder grundherrlichen Hausindustrien mit Leibeigenen- oder
Hörigenarbeit in der beginnenden Neuzeit. Für freie Arbeit finden sich selbst
eigentliche "Hausindustrien" außerhalb des Okzidents nur vereinzelt
sicher bezeugt und die natürlich überall sich findende Taglöhnerverwendung hat
mit sehr wenigen und sehr besonders, jedenfalls aber: sehr abweichend von
modernen Betriebsorganisationen gearteten Ausnahmen (besonders:
Staatsmonopolbetrieben) nicht zu Manufakturen und nicht einmal zu einer
rationalen Lehrorganisation des Handwerks vom Gepräge des okzidentalen
Mittelalters geführt. Die an den Chancen des Gütermarktes, nicht an
gewaltpolitischen oder an irrationalen Spekulationschancen, orientierte,
rationale Betriebsorganisation ist aber nicht die einzige Sondererscheinung des
okzidentalen Kapitalismus. Die moderne rationale Organisation des
kapitalistischen Betriebs wäre nicht möglich gewesen ohne zwei weitere wichtige
Entwicklungselemente: die Trennung von Haushalt und Betrieb, welche das heutige
Wirtschaftsleben schlechthin beherrscht und, damit eng zusammenhängend, die
rationale Buchführung. Oertliche Trennung der Werk- oder Verkaufsstätten von
der Behausung findet sich auch sonst (im orientalischen Bazar und in den
Ergasterien anderer Kulturgebiete). Und auch die Schaffung von kapitalistischen
Assoziationen mit gesonderter Betriebsrechnung findet sich in Ostasien wie im
Orient und in der Antike. Aber: gegenüber der modernen Verselbständigung der
Erwerbsbetriebe sind das doch nur Ansätze. Vor allem aus dem Grunde, weil die
inneren Mittel dieser Se1bständigkeit: sowohl unsre rationale Betriebs
buchführung wie unsre rechtliche Sonderung von Betriebsvermögen und
persönlichem Vermögen ganz fehlen oder nur in Anfängen entwickelt sind1).
[S. 17]
Die Entwicklung hat
überall sonst dazu geneigt, Erwerbsbetriebe als Teile eines fürstlichen oder
grundherrlichen Groß- haushalts (des "Oikos") entstehen zu lassen:
eine, wie schon Rodbertus erkannt hatte, bei mancher scheinbaren Verwandtschaft
doch höchst abweichende, geradezu entgegengesetzte, Entwicklung.
Ihre heutige Bedeutung
aber haben alle diese Besonderheiten des abendländischen Kapitalismus letztlich
erst durch den Zusammenhang mit der kapitalistischen Arbeitsorganisation
erhalten. Auch das, was man die "Kommerzialisierung" zu nennen pflegt:
die Wertpapierentwicklung und die Rationalisierung der Spekulation: die Börse,
steht damit im Zusammenhang. Denn ohne kapitalistisch - rationale
Arbeitsorganisation wäre dies alles, auch die Entwicklung zur
"Kommerzialisierung", soweit überhaupt möglich, nicht entfernt von
der gleichen Tragweite. Vor allem für die soziale Struktur und alle mit ihr
zusammenhängenden spezifisch modern - okzidentalen Probleme. Eine exakte Kalkulation:
- die Grundlage alles andern, - ist eben nur auf dem Boden freier Arbeit
möglich. Und wie - und weil - keine rationale Arbeitsorganisation, so - und
deshalb - hat die Welt außerhalb des modernen Okzidents auch keinen rationalen
Sozialismus gekannt. Gewiß: ebenso wie Stadtwirtschaft, städtische
Nahrungspolitik, Merkantilismus und Wohlfahrtspolitik der Fürsten,
Rationierungen, regulierte Wirtschaft, Protektionismus und Laissez-faire -
Theorien (in China), so hat die Welt auch kommunistische und sozialistische
Wirtschaften sehr verschiedener Gepräge gekannt: familiär, religiös oder
militaristisch bedingten Kommunismus, staatssozialistische (in Aegypten),
monopolkartellistische und auch Konsumentenorganisationen verschiedenster Art.
Aber ebenso wie - trotzdem es doch überall einmal städtische Marktprivilegien,
Zünfte, Gilden und allerhand rechtliche Scheidungen zwischen Stadt und Land in
der verschiedensten Form gab, - doch der Begriff des "Bürgers"
überall außer im Okzident und der Begriff der "Bourgeoisie" überall
außer im modernen Okzident fehlte, so fehlte auch das
[S. 18]
"Proletariat"
als Klasse und mußte fehlen, weil eben die rationale Organisation freier Arbeit
als Betrieb fehlte. "Klassenkämpfe" zwischen Gläubiger- und
Schuldnerschichten, Grundbesitzern und Besitzlosen oder Fronknechten oder
Pächtern, Handelsinteressenten und Konsumenten oder Grundbesitzern, hat es in
verschiedener Konstellation überall längst gegeben. Aher schon die okzidental -
mittelalterlichen Kämpfe zwischen Verlegern und Verlegten finden sich
anderwärts nur in Ansätzen. Vollends fehlt der moderne Gegensatz:
großindustrieller Unternehmer und freier Lohnarbeiter. Und daher konnte es auch
eine Problematik von der Art, wie sie der moderne Sozialismus kennt, nicht
geben.
In einer Universalgeschichte
der Kultur ist also für uns, rein wirtschaftlich, das zentrale Problem
letztlich nicht die überall nur in der Form wechselnde Entfaltung
kapitalistisches Betätigung als solcher: des Abenteurertypus oder des
händlerischen oder des an Krieg, Politik, Verwaltung und ihren Gewinnchancen
orientierten Kapitalismus. Sondern vielmehr die Entstehung des bürgerlichen
Betriebskapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit.
Oder, kulturgeschichtlich gewendet: die Entstehung des abendländischen
Bürgertums und seiner Eigenart, die freilich mit der Entstehung
kapitalistischer Arbeitsorganisation zwar im nahen Zusammenhang steht, aber
natürlich doch nicht einfach identisch ist. Denn "Bürger" im
ständischen Sinn gab es schon vor der Entwicklung des spezifisch
abendländischen Kapitalismus. Aber freilich: nur im Abendlande. Der spezifisch
moderne okzidentale Kapitalismus nun ist zunächst offenkundig in starkem Maße
durch Entwicklungen von technischen Möglichkeiten mitbestimmt. Seine Rationalität
ist heute wesenhaft bedingt durch Berechenbarkeit der technisch entscheidender
Faktoren: der Unterlagen exakter Kalkulation. Das heißt aber in Wahrheit: durch
die Eigenart der abendländischen Wissenschaft, insbesondere der mathematisch
und experimentell exakt und rational fundamentierten Naturwissenschaften. Die
Entwicklung dieser Wissenschaften und der auf ihnen beruhenden Tech
[S. 19]
nik erhielt und erhält
nun andererseits ihrerseits entscheidende Impulse von den kapitalistischen
Chancen, die sich an ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit als Prämien knüpfen.
Zwar nicht die Entstehung der abendländischen Wissenschaft ist durch solche
Chancen bestimmt worden. Gerechnet, mit Stellenzahlen gerechnet, Algebra
getrieben haben auch die Inder, die Erfinder des Positionszahlensystems,
welches erst in den Dienst des sich entwickelnden Kapitalismus im Abendland
trat, in Indien aber keine moderne Kalkulation und Bilanzierung schuf. Auch die
Entstehung der Mathematik und Mechanik war nicht durch kapitalistische Interessen
bedingt. Wohl aber wurde die technische Verwendung wissenschaftlicher
Erkenntnisse: dies für die Lebensordnung unsrer Massen Entscheidende, durch
ökonomische Prämien bedingt, welche im Okzident gerade darauf gesetzt waren.
Diese Prämien aber flossen aus der Eigenart der Sozialordnung des Okzidents. Es
wird also gefragt werden müssen: aus welchenBestandteilen dieser Eigenart, da
zweifellos nicht alle gleich wichtig gewesen sein werden. Zu den unzweifelhaft
wichtigen gehört die rationale Struktur des Rechts und der Verwaltung. Denn der
moderne rationale Betriebskapitalismus bedarf, wie der berechenbaren
technischen Arbeitsmittel, so auch des berechenbaren Rechts und der Verwaltung
nach formalen Regeln, ohne welche zwar Abenteurer- und spekulativer Händlerkapitalismus
und alle möglichen Arten von politisch bedingtem Kapitalismus, aber kein
rationaler privatwirtschaftlicher Betrieb mit stehendem Kapital und sicherer
Kalkulation möglich ist. Ein solches Recht und eine solche Verwaltung nun
stellte der Wirtschaftsführung in dieser rechtstechnischen und formalistischen
Vollendung nur der Okzident zur
Verfügung. Woher hat er jenes Recht ? wird man also fragen müssen. Es haben,
neben anderen Umständen, auch kapitalistische Interessen ihrerseits
unzweifelhaft der Herrschaft des an rationalem Recht fachgeschultem
Juristenstandes in Rechtsptlege und Verwaltung die Wege geebnet wie jede
Untersuchung zeigt. Aber keineswegs nur oder vornehmlich sie. Und nicht sie
haben jenes Recht
[S. 20]
aus sich geschaffen.
Sondern noch ganz andre Mächte waren bei dieser Entwicklung tätig. Und warum
taten die kapitalistischen Interessen das gleiche nicht in China oder Indien ?
Warum lenkten dort überhaupt weder die wissenschaftliche noch die künstlerische
noch die staatliche noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen
der Rationalisierung ein, welche dem Okzident eigen sind ?
Denn es handelt sich
ja in all den angeführten Fällen von Eigenart offenbar um einen spezifisch
gearteten "Rationalismus" der okzidentalen Kultur. Nun kann unter
diesem Wort höchst Verschiedenes verstanden werden, - wie die späteren
Darlegungen wiederholt verdeutlichen werden. Es gibt z. B.
"Rationalisierungen" der mystischen Kontemplation, also: von einem
Verhalten, welches, von anderen Lebensgebieten her gesehen, spezifisch
"irrational" ist, ganz ebenso gut wie Rationalisierungen der
Wirtschaft, der Technik, des wissenschaftlichen Arbeitens, der Erziehung, des
Krieges, der Rechtspflege und Verwaltung. Man kann ferner jedes dieser Gebiete
unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten,und Zielrichtungen
"rationalisieren", und was von einem aus "rational" ist,
kann, vom andern aus betrachtet, "irrational" sein.
Rationalisierungen hat es daher auf den verschiedenen Lebensgebieten in höchst
verschiedener Art in allen Kulturkreisen gegeben. Charakteristisch für deren
kulturgeschichtlichen Unterschied ist erst: welche Sphären und in welcher
Richtung sie rationalisiert wurden. Es kommt also zunächst wieder darauf an:
die besondere Eigenart des okzidentalen und, innerhalb dieses, des modernen
okzidentalen, Rationalismus zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären.
Jeder solche Erklärungsversuch muß, der fundamentalen Bedeutung der Wirtschaft
entsprechend, vor allem die ökonomischen Bedingungen berücksichtigen. Aber es
darf auch der umgekehrte Kausalzusammenhang darüber nicht unbeachtet bleiben.
Denn wie von rationaler Technik und rationalem Recht, so ist der ökonomische
Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition der
Menschen zu bestimmten Arten
[S. 21]
praktisch - rationaler
Lebensführung überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art
obstruiert war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen
Lebensführung auf schwere innere Widerstände. Zu den wichtigsten formenden Elementen
der Lebensführung nun gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und
religiösen Mächte und die am Glauben an sie verankerten ethischen
Pflichtvorstellungen. Von diesen ist in den nachstehend gesammelten und
ergänzten Aufsätzen die Rede.
Es sind dabei zwei
ältere Aufsätze an die Spitze gestellt, welche versuchen, in einem wichtigen
Einzelpunkt der meist am schwierigsten zu fassenden Seite des Problems näher zu
kommen: der Bedingtheit der Entstehung einer "Wirtschaftsgesinnung":
des "Ethos", einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse
Glaubensinhalte, und zwar an dem Beispiel der Zusammenhänge des modernen
Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus. Hier
wird also nur der einen Seite der Kausalbeziehung nachgegangen. Die späteren
Aufsätze über die "Wirtschaftsethik der Weltreligionen" versuchen, in
einem Ueberblick über die Beziehungen der wichtigsten Kulturreligionen zur
Wirtschaft und sozialen Schichtung ihrer Umwelt, beiden Kausalbeziehungen
soweit nachzugehen, als notwendig ist, um die Vergleichspunkte mit der
weiterhin zu analysierenden okzidentalen Entwicklung zu finden. Denn nur so
läßt sich ja die einigermaßen eindeutige kausale Zurechnung derjenigen Elemente
der okzidentalen religiösen Wirtschaftsethik, welche ihr im Gegensatz zu andern
eigentümlich sind, überhaupt in Angriff nehmen. Diese Aufsätze wollen also
nicht etwa als - sei es auch noch so gedrängte - umfassende Kulturanalysen
gelten. Sondern sie betonen in jedem Kulturgebiet ganz geflissentlich das, was
im Gegensatz stand und steht zur okzidentalen Kulturentwicklung. Sie sind also
durchaus orientiert an dem, was unter die
[S. 22]
sem Gesichtspunkt bei
Gelegenheit der Darstellung der okzidentalen Entwicklung wichtig erscheint. Ein
anderes Verfahren schien bei dem gegebenen Zweck nicht wohl möglich. Aber es
muß zur Vermeidung von Mißverständnissen hier auf diese Begrenztheit des
Zweckes ausdrücklich hingewiesen werden. Und noch in einer anderen Hinsicht muß
wenigstens der Unorientierte vor einer Ueberschätzung der Bedeutung dieser
Darstellungen gewarnt werden. Der Sinologe, Indologe, Semitist, Aegyptologe
wird in ihnen natürlich nichts ihm sachlich Neues finden. Wünschenswert wäre
nur: daß er nichts zur Sache Wesentliches findet, was er als sachlich falsch
beurteilen muß. Wie weit es gelungen ist, diesem Ideal wenigstens so
nahezukommen, wie ein Nichtfachmann dazu überhaupt imstande ist, kann der
Verfasser nicht wissen. Es ist ja ganz klar, daß jemand, der auf die Benutzung
von Uebersetzungen und im übrigen darauf angewiesen ist, über die Art der
Benutzung und Bewertung der monumentalen, dokumentarischen oder literarischen
Quellen sich in der häufig sehr kontroversen Fachliteratur zu orientieren, die
er seinerseits in ihrem Wert nicht selbständig beurteilen kann, allen Grund
hat, über den Wert seiner Leistung sehr bescheiden zu denken. Um so mehr, als
das Maß der vorliegenden Uebersetzungen wirklicher "Quellen" (d. h.
von Inschriften und Urkunden) teilweise (besonders für China) noch sehr klein
ist im Verhältnis zu dem, was vorhanden und wichtig ist. Aus alledem folgt der
vollkommen provisorische Charakter dieser Aufsätze, insbesondere der auf Asien
sich beziehenden Teile1). Nur den Fachmännern steht ein endgültiges Urteil zu.
Und nur weil, begreiflicherweise, fachmännische Darstellungen mit diesem
besonderen Ziel und unter diesen besonderen Gesichtspunkten bisher nicht
vorlagen, sind sie überhaupt geschrieben worden. Sie sind in einem un-
gleich stärkerem Maß
und Sinn dazu bestimmt, bald "überholt" zu werden, als dies letztlich
von aller wissenschaftlicher Arbeit gilt. Es läßt sich nun einmal, bei
derartigen Arbeiten, ein solches vergleichendes Uebergreifen auf andere
Fachgebiete, so bedenklich es ist, nicht vermeiden; aber
[S. 23]
man hat dann eben die
Konsequenz eines sehr starken Resignation in bezug auf das Maß des Gelingens zu
ziehen. Mode oder Literatensehnsucht glaubt heute gern den Fachmann entbehren
oder zum Subalternarbeiter für den "Schauenden" degradieren zu können.
Fast alle Wissenschaften verdanken Dilettanten irgend etwas, oft sehr wertvolle
Gesichtspunkte. Aber der Dilettantismus als Prinzip der Wissenschaft wäre das
Ende. Wer "Schau" wünscht, gehe ins Lichtspiel: - es wird ihm heut
massenhaft auch in literarischer Form auf eben diesem Problemfeld geboten1).
Nichts liegt den überaus nüchternen Darlegungen dieser der Absicht nach streng
empirischen Studien ferner als diese Gesinnung. Und möchte ich hinzusetzen -
wer "Predigt" wünscht, gehe ins Konventikel. Welches Wertverhältnis
zwischen den hier vergleichend behandelten Kulturen besteht, wird hier mit
keinem Wort erörtert. Daß der Gang von Menschheitsschicksalen dem, der einen
Ausschnitt daraus überblickt, erschütternd an die Brust brandet, ist wahr. Aber
er wird gut tun, seine kleinen persönlichen Kommentare für sich zu behalten,
wie man es vor dem Anblick des Meeres und des Hochgebirges auch tut, - es sei
denn, daß er sich zu künstlerischer Formung oder zu prophetischer Forderung
berufen und begabt weiß. In den meisten andern Fällen verhüllt das viele Reden
von "Intuition" nichts anders als eine Distanzlosigkeit zum Objekt,
die ebenso zu beurteilen ist wie die gleiche Haltung zum Menschen.
Der Begründung bedarf
es, daß für die hier verfolgten Ziele die ethnographische Forschung entfernt
nicht so herangezogen ist, wie es bei deren heutigem Stand für eine wirklich
eindringende Darstellung insbesondere der asiatischen Religiosität natürlich
unumgänglich wäre. Es geschah dies nicht nur deshalb, weil menschliche
Arbeitskraft ihre Grenzen hat. Sondern vornehmlich schien es deshalb erlaubt,
weil es hier gerade auf die Zusammenhänge der religiös bestimmten Ethik jener
Schichten ankommen mußte, welche "Kulturträger" des betreffenden
Gebiets waren. Um die Einflüsse, welche deren Lebensführung geübt hat, handelt
es sich ja. Es ist nun völlig
[S. 24]
richtig, daß auch
diese in ihrer Eigenart nur wirklich zutreffend zu erfassen sind, wenn man den
ethnographisch - volkskundlichen Tatbestand damit konfrontiert. Es sei also
nachdrücklich zugestanden und betont: daß hier eine Lücke besteht, welche der
Ethnograph mit gutem Recht beanstanden muß. Einiges zu ihrer Ausfüllung hoffe
ich bei einer systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie tun zu können.
Den Rahmen dieser Darstellung mit ihren begrenzten Zwecken hätte ein solches
Unternehmen aber überschritten. Sie mußte sich mit dem Versuch begnügen, die
Vergleichspunkte zu unseren okzidentalen Kulturreligionen tunlichst
aufzudecken.
Schließlich sei auch
der anthropologischen Seite der Probleme gedacht. Wenn wir immer wieder - auch
auf (scheinbar) unabhängig voneinander sich entwickelnden Gebieten der
Lebensführung - im Okzident, und nur dort, bestimmte Arten von
Rationalisierungen sich entwickeln finden, so liegt die Annahme: daß hier
Erbqualitäten die entscheidende Unterlage boten, natürlich nahe. Der Verfasser
bekennt: daß er persönlich und subjektiv die Bedeutung des biologischen
Erbgutes hoch einzuschätzen geneigt ist. Nur sehe ich, trotz der bedeutenden
Leistungen der anthropologischen Arbeit, z. Z. noch keinerlei Weg, seinen
Anteil an der hier untersuchten Entwicklung nach Maß und - vor allem - nach Art
und Einsatzpunkten irgendwie exakt zu erfassen oder auch nur vermutungsweise
anzudeuten. Es wird gerade eine der Aufgaben soziologischer und historischer
Arbeit sein müssen, zunächst möglichst alle jene Einflüsse und Kausalketten
aufzudecken, welche durch Reaktionen auf Schicksale und Umwelt befriedigend
erklärbar sind. Dann erst, und wenn außerdem die vergleichende Rassen -
Neurologie und -Psychologie über ihre heute vorliegenden, im einzelnen
vielversprechenden, Anfänge weiter hinausgekommen sind, wird man vielleicht
befriedigende Resultate auch für je
[S. 25]
nes Problem erhoffen
dürfen1). Vorerst scheint mir jene Voraussetzung zu fehlen und wäre die
Verweisung auf "Erbgut" ein voreiliger Verzicht auf das heute vielleicht mögliche Maß der
Erkenntnis und eine Verschiebung des Problems auf (derzeit noch) unbekannte
Faktoren.
Die
protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus2).
[S. 29]
I.
Das Problem.
Inhalt : 1. Konfession
und soziale Schichtung. S. 17. - 2. Der "Geist" des
Kapitalismus. S. 30. - 3. Luthers
Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. S. 63.
I.
Ein Blick in die
Berufsstatistik eines konfessionell gemischten Landes pflegt mit auffallender
Häufigkeit2) eine Erscheinung zu zeigen, welche mehrfach in der katholischen
Presse und Literatur3) und auf den Katholikentagen Deutschlands lebhaft
erörtert worden ist: den ganz vorwiegend protestantischen Charakter des
Kapitalbesitzes und Unternehmertums sowohl, wie der oberen gelernten Schichten
der Arbeiterschaft, namentlich aber des höheren technisch oder kaufmännisch
vorgebildeten Personals der modernen Unternehmungen1). Nicht nur da, wo die Differenz
der Konfession mit einem Unterschied der Nationalität und damit des Grades der
Kulturentwicklung zusammenfällt, wie im deutschen Osten zwischen Deutschen und
Polen, sondern fast überall da, wo überhaupt die kapitalistische Entwicklung in
der Zeit ihres Aufblühens freie Hand hatte, die Bevölkerung nach ihren
Bedürfnissen sozial umzuschichten und beruflich zu gliedern, - und je mehr dies
der Fall war, desto deutlicher, - finden wir jene Erscheinung in den Zahlen der
Konfessionsstatistik ausgeprägt. Nun ist freilich die relativ weit stärkere, d.
h. ihren Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung überragende Beteiligung der
Protestanten am Kapitalbesitz1), an der Leitung und den oberen Stufen der
Arbeit in den großen modernen gewerblichen und Handelsunternehmungen2), zum
Teil auf historische Gründe zurückzuführen3), die weit in der Vergangenheit
liegen und bei denen die konfessionelle Zugehörigkeit nicht als Ursache
ökonomischer Erscheinungen, sondern, bis zu einem gewissen Grade, als Folge von
solchen erscheint. Die Beteiligung an jenen ökonomischen Funktionen setzt teils
Kapitalbesitz, teils kostspie
[S.30]
lige Erziehung, teils,
und meist, beides voraus, ist heute an den Besitz ererbten Reichtums oder doch
einer gewissen Wohlhabenheit gebunden. Gerade eine große Zahl der reichsten,
durch Natur oder Verkehrslage begünstigten und wirtschaftlich entwickeltsten
Gebiete des Reiches, insbesondere aber die Mehrzahl der reichen Städte, hatten
sich aber im 16. Jahrhundert dem Protestantismus zugewendet und die Nachwirkungen
davon kommen den Protestanten noch heute im ökonomischen Kampf ums Dasein
zugute. Es entsteht aber alsdann die historische Frage: welchen Grund hatte
diese besonders starke Prädisposition der ökonomisch entwickeltsten Gebiete für
eine kirchliche Revolution ? Und da ist die Antwort keineswegs so einfach wie
man zunächst glauben könnte.
[...]
[S. 31]
Aber weiter und
namentlich: mag, wie gesagt, die stärkere Beteiligung der Protestanten am
Kapitalbesitz und den leitenden Stellungen innerhalb der modernen Wirtschaft
heute zum Teil einfach als Folge ihrer geschichtlich überkommenen
durchschnittlich besseren Vermögensausstattung zu verstehen sein, so zeigen
sich andererseits Erscheinungen, bei welchen das Kausalverhältnis unzweifelhaft
so nicht liegt. Dahin gehören, um nur einiges anzuführen, u. a. die folgenden:
Zunächst der ganz allgemein, in Baden ebenso wie in Bayern und z. B. in Ungarn,
nachweisbare Unterschied in der Art des höheren Unterrichts, den katholische
Eltern im Gegensatz zu protestantischen ihren Kindern zuzuwenden pflegen. Daß
der Prozentsatz der Katholiken unter den Schülern und Abiturienten der
"höheren" Lehranstalten im ganzen hinter ihrem Gesamtanteil an der
Bevölkerüng beträchtlich zurückbleibt1), wird man zwar zum erheblichen Teile
den erwähnten überkommenen Vermögensunterschieden zurechnen. Daß aber auch innerhalb der katholischen Abiturienten
der Prozentsatz derjenigen, welche aus den modernen, speziell für die
Vorbereitung zu tech
[S. 32]
nischen Studien und
gewerblich - kaufmännischen Berufen, überhaupt für ein bürgerliches
Erwerbsleben bestimmten und geeigneten Anstalten: Realgymnasien, Realschulen,
höheren Bürgerschulen usw. hervorgehen, wiederum auffallend stärker hinter dem
der Protestanten zurückbleibt1), während diejenige Vorbildung, welche die
humanistischen Gymnasien bieten, von ihnen bevorzugt wird, - das ist eine
Erscheinung, die damit nicht erklärt ist, die vielmehr umgekehrt ihrerseits zur
Erklärung der geringen Anteilnahme der Katholiken am kapitalistischen Erwerb
herangezogen werden muß. Noch auffallender aber ist eine Beobachtung, welche
die geringere Anteilnahme der Katholiken an der gelernten Arbeiterschaft der
modernen Großindustrie verstehen hilft. Die bekannte Erscheinung, daß die
Fabrik ihre gelernten Arbeitskräfte in starkem Maße dem Nachwuchs des Handwerks
entnimmt, diesem also die Vorbildung ihrer Arbeitskräfte überläßt und sie ihm
nach vollendeter Vorbildung entzieht, zeigt sich in wesentlich stärkerem Maße
bei den protestantischen als bei den katholischen Handwerksgesellen. Von den
Handwerksgesellen zeigen m. a. W. die Katholiken die stärkere Neigung zum
Verbleiben im Handwerk, werden also relativ häufiger Handwerks meister, während
die Protestanten in relativ stärkerem Maße in die Fabriken abströmen, um hier
die oberen Staffeln der gelernten Arbeiterschaft und des gewerblichen
Beamtentums zu füllen2). In diesen Fällen liegt zweifellos das Kausalverhältnis
so, daß die anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier die durch die religiöse
Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung, die
Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt hat.
Die geringere
Beteiligung der Katholiken am modernen Erwerbsleben in Deutschland ist nun aber
um so auffallender, als sie der sonst von jeher3) und auch in der Gegenwart
gemachten Erfahrung zuwiderläuft: daß nationale oder religiöse Minderheiten,
welche als "Beherrschte" einer anderen Gruppe als der
"herrschenden" gegenüberstehen, durch ihren freiwilligen oder
unfreiwilligen Ausschluß von politisch ein
[S. 33]
flußreichen Stellungen
gerade in besonders starkem Maße auf die Bahn des Erwerbes getrieben zu werden
pflegen, daß ihre begabtesten Angehörigen hier den Ehrgeiz, der auf dem Boden
des Staatsdienstes keine Verwertung finden kann, zu befriedigen suchen.
[...]
Es würde also darauf
ankommen, zunächst einmal zu untersuchen, welches diejenigen Elemente jener
Eigenart der Konfessionen sind oder waren, die in der vorstehend geschilderten
Richtung gewirkt haben und teilweise noch wirken.
[...]
[S. 45]
In der Tat: jener
eigentümliche, uns heute so geläufige und in Wahrheit doch so wenig
selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht: einer Verpflichtung, die der
Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner
"beruflichen" Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht, gleichviel
insbesondere ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner
Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als "Kapital")
erscheinen muß: - dieser Gedanke ist es, welcher der "Sozialethik"
der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für sie von
konstitutiver Bedeutung ist. Nicht als ob er nur auf dem Boden des Kapitalismus
gewachsen wäre: wir werden ihn vielmehr später in die Vergangenheit zurück zu
verfolgen suchen. Und noch weniger soll natürlich behauptet werden, daß für den
heutigen Kapitalismus die subjektive Aneignung dieser ethischen Maxime durch
seine einzelnen Träger, etwa die Unternehmer oder die Arbeiter der modernen
kapitalistischen Betriebe, Bedingung der Fortexistenz sei. Die heutige
kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der
einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als
faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er
zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten
ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher
diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar
eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als
Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird.
[...]
[S. 46]
In diesem Falle liegt
also das Kausalverhältnis jedenfalls umgekehrt als vom
"materialistischen" Standpunkt aus zu postulieren wäre. Aber die
Jugend solcher Ideen ist überhaupt dornenvoller, als die Theoretiker des
"Ueberbaues" annehmen und ihre Entwicklung vollzieht sich nicht wie
die einer Blume. Der kapitalistische Geist in dem Sinne, den wir für diesen
Begriff bisher gewonnen haben, hat sich in schwerem Kampf gegen eine Welt
feindlicher Mächte durchzusetzen gehabt. Eine Gesinnung wie sie in den
zitierten Ausführungen Benjamin Franklins zum Ausdruck kam und den Beifall
eines ganzen Volkes fand, wäre im Altertum wie im Mittelalter1) ebenso als
Ausdruck des schmutzigsten Geizes und einer schlechthin würdelosen Gesinnung
proskribiert
[S. 47]
worden, wie dies noch
heute von allen denjenigen sozialen Gruppen regelmäßig geschieht, welche in die
spezifisch moderne kapitalistische Wirtschaft am wenigsten verflochten oder ihr
am wenigsten angepasst sind. Nicht etwa deshalb, weil "der
Erwerbstrieb" in den präkapitalistischen Epochen noch etwas Unbekanntes
oder Unentwickeltes gewesen wäre - wie man so oft gesagt hat - oder weil die "auri
sacra fames", die Geldgier, damals - oder auch heute - außerhalb des
bürgerlichen Kapitalismus geringer wäre als innerhalb der spezifisch
kapitalistischen Sphäre, wie die Illusion moderner Romantiker sich die Sache
vorstellt. An diesem Punkt liegt der Unterschied kapitalistischen und
präkapitalistischen "Geistes" nicht: Die Habgier des chinesischen
Mandarinen, des altrömischen Aristokraten, des modernen Agrariers hält jeden
Vergleich aus. Und die "auri sacra fames" des neapolitanischen
Kutschers oder Barcajuolo oder vollends des asiatischen Vertreters ähnlicher
Gewerbe, ebenso aber auch des Handwerkers südeuropäischer oder asiatischer
Länder äußert sich, wie jeder an sich erfahren kann, sogar außerordentlich viel
penetranter, und insbesondere: skrupelloser, als diejenige etwa eines
Engländers im gleichen Falle1).
[...]
[S. 64]
Es scheint also, als
sei die Entwicklung des "kapitalistischen Geistes" am einfachsten als
Teilerscheinung in der Gesamtentwicklung des Rationalismus zu verstehen und
müsse aus dessen prinzipieller Stellung zu den letzten Lebensproblemen ableitbar
sein. Dabei käme also der Protestantismus nur insoweit historisch in Betracht,
als er etwa als "Vorfrucht" rein ra
[S. 65]
tionalistischer
Lebensanschauungen eine Rolle gespielt hätte. Allein sobald man ernstlich den
Versuch macht, zeigt sich, daß eine so einfache Problemstellung schon um
deswillen nicht angeht, weil die Geschichte des Rationalismus keineswegseine
auf den einzelnen Lebensgebieten parallel fortschreitende Entwicklung zeigt.
Die Rationalisierung des Privatrechts z. B. ist, wenn man sie als begriffliche
Vereinfachung und Gliederung des Rechtsstoffes auffaßt, in ihrer bisher
höchsten Form im römischen Recht des späteren Altertums erreicht, sie blieb am
rückständigsten in einigen der ökonomisch am meisten rationalisierten Länder,
speziell in England, wo die Renaissance des römischen Rechts seinerzeit an der
Macht der großen Juristenzünfte scheiterte, während seine Herrschaft in den
katholischen Gebieten Südeuropas stets fortbestanden hat. Die rein diesseitige
rationale Philosophie hat im 18. Jahrhundert ihre Stätte durchaus nicht allein
oder auch nur vorzugsweise in den kapitalistisch höchst entwickelten Ländern
gefunden. Der Voltairianismus ist noch heute Gemeingut breiter oberer und - was
praktisch wichtiger ist - mittlerer Schichten gerade in den romanisch
-katholischen Ländern. Versteht man vollends unter "praktischem
Rationalismus" jene Art Lebensführung, welche die Welt bewußt auf die
diesseitigen Interessen des einzelnen Ich bezieht und von hier aus beurteilt,
so war und ist noch heute dieser Lebensstil erst recht typische Eigenart der
Völker des "liberum arbitrium", wie es dem Italiener und Franzosen in
Fleisch und Blut steckt und wir konnten uns bereits überzeugen, daß dies
keineswegs der Boden ist, auf welchem jene Beziehung des Menschen auf seinen
"Beruf" als Aufgabe, wie sie der Kapitalismus braucht, vorzugsweise
gediehen ist. Man kann eben - dieser einfache Satz, der oft vergessen wird,
sollte an der Spitze jeder Studie stehen, die sich mit,
"Rationalismus" befaßt - das Leben unter höchst verschiedenen letzten
Gesichtspunkten und nach sehr verschiedenen Richtungen hin
"rationalisieren". Der "Rationalismus" ist ein historischer
Begriff, der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt, und wir werden gerade
zu untersuchen haben,
[S. 66]
wes Geistes Kind
diejenige konkrete Form "rationalen" Denkens und Lebens war, aus
welcher jener "Berufs" - Gedanke und jenes, - wie wir sahen, vom
Standpunkt der rein eudämonistischen Eigeninteressen aus so irrationale -
Sichhingeben an die Berufs- arbeit erwachsen ist, welches einer der
charakteristischsten Bestandteile unserer kapitalistischen Kultur war und noch
immer ist. Uns interessiert hier gerade die Herkunft jenes irrationalen
Elements, welches in diesem wie in jedem "Berufs" - Begriff liegt
[...]
[S. 115]
II.
Die Berufsethik des asketischen Protestantismus.
Inhalt: 1. Die
religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese S. 84. - 2. Askese und
kapitalistischer Geist S. 163.
I.
Die geschichtlichen
Träger des asketischen Protestantismus (im hier gebrauchten Sinn des Ausdrucks)
sind in der Hauptsache viererlei: 1. der Calvinismus in der Gestalt, welche er
in den westeuropäischen Hauptgebieten seiner Herrschaft im Lauf insbesondere
des 17. Jahrhunderts annahm; 2. der Pietismus; 3. der Methodismus; 4. die aus
der täuferischen Bewegung hervorgewachsenen Sekten1).
[...]
[S. 118]
Der Glaube2) nun, um
welchen in den kapitalistisch höchst entwickelten Kulturländern: den
Niederlanden, England, Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert die großen
politischen und Kulturkämpfe geführt worden sind und dem wir uns deshalb zuerst
zuwenden, war der Calvinismus1). Als sein am meisten charakteristisches Dogma
galt damals und gilt im allgemeinen auch heute die Lehre von der Gnadenwahl.
Man hat zwar darüber gestritten, ob sie "das wesentlichste" Dogma der
reformierten Kirche oder ein "Anhängsel" sei. Urteile über die
Wesentlichkeit einer historischen Erscheinung sind nun aber entweder Wert- und
Glaubensurteile - dann nämlich, wenn das an ihr allein
"Interessierende" oder allein dauernd "Wertvolle" damit
gemeint ist. Oder es ist das wegen seines Einflusses auf andere historische
Hergänge kausal Bedeutsame gemeint: dann handelt es sich um historische
Zurechnungsurteile. Geht man nun, wie dies hier zu geschehen hat, von diesem
letzteren Gesichtspunkt aus und fragt also nach der Bedeutung, welche jenem
Dogma nach seinen kulturgeschichtlichen Wirkungen zuzumessen ist, so müssen
diese sicherlich hoch angeschlagen werden1). Der Kulturkampf, den
Oldenbarneveldt führte, zerschellte an ihm, die Spaltung in der englischen
Kirche wurde unter Jakob 1. unüberbrückbar, seit Krone und Puritanismus auch
dogmatisch - eben über diese Lehre - differierten, und überhaupt wurde sie in
erster Linie als das Staatsgefährliche am Calvinismus aufgefaßt und
obrigkeitlich bekämpft2). Die großen Synoden des 17. Jahrhunderts, vor allem
Dordrecht und Westminster, daneben zahlreiche kleinere, stellten ihre Erhebung
zu kanonischer Gültigkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit; unzähligen der
Helden der "ecclesia militans" hat sie als fester Halt gedient und im
18. ebenso wie im 19. Jahrhundert hat sie Kirchenspaltungen hervorgerufen und
bei großen Neuerweckungen das Schlachtgeschrei abgegeben. Wir können an ihr
nicht vorbeigehen und lernen zunächst ihren Inhalt, - da er heute nicht mehr
als jedem Gebildeten bekannt gelten darf, - authentisch aus den Sätzen der
"Westminster confession" von 1647
[S. 119]
kennen, welche in
diesem Punkt sowohl von independentischen als von baptistischen
Glaubensbekenntnissen einfach wiederholt worden ist1)
Kapitel 9. (Vom freien
Willen.) Nr. 3: Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde
gänzlich alle Fähigkeit seines Willens zu irgend etwas geistlich Gutem und die
Seligkeit mit sich Führendem verloren, so sehr, daß ein natürlicher Mensch, als
gänzlich abgewandt vom Guten und tot in Sünde, nicht fähig ist sich zu bekehren
oder sich auch nur dafür vorzubereiten.
Kapitel 3. (Von Gottes
ewigem Ratschluß.) Nr. 3: Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch
seinen Beschluß einige Menschen . . . . . bestimmt (predestinated) zu ewigem
Leben und andere verordnet (foreordained) zu ewigem Tode. Nr. 5: Diejenigen aus
dem Menschengeschlecht, welche bestimmt sind zum Leben, hat Gott, bevor der
Grund der Welt gelegt wurde, nach seinem ewigen und unveränderlichen Vorsatz
und dem geheimen Ratschluß und der Willkür seines Willens erwählt in Christus
zu ewiger Herrlichkeit, und dies aus reiner freier Gnade und Liebe, nicht etwa
so, daß die Voraussicht von Glauben oder guten Werken oder Beharrlichkeit in
einem von beiden, oder irgend etwas anderes in den Geschöpfen, als Bedingung
oder Ursache, ihn dazu bewogen hätten, sondern alles zum Preise seiner
herrlichen Gnade. Nr. 7: Es gefiel Gott, die übrigen des Menschengeschlechts
gemäß dem unerforschlichen Rat seines Willens, wonach er Gnade erteilt oder
vorenthält, wie es ihm gefällt, zur Verherrlichung seiner unumschränkten Macht
über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zu ordnen zu Unehre und Zorn für ihre
Sünde, zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.
Kapitel 10. (Von
wirksamer Berufung.) Nr. 1: Es gefällt Gott, alle die, welche er bestimmt hat
zum Leben, und nur sie, zu der von ihm festgesetzten und passenden Zeit durch
sein Wort und seinen Geist wirksam zu berufen . . . indem er hinwegnimmt ihr
steinernes Herz und ihnen gibt ein fleischernes Herz, indem er ihren Willen
erneuert und durch seine allmächtige Kraft sie für das, was gut ist,
entscheidet . . . . .
Kapitel 5. (Von der
Vorsehung.) Nr. 6: Was die bösen und gottlosen Menschen betrifft, welche Gott
als ein gerechter Richter um früherer Sünden willen verblendet und verhärtet,
so entzieht er ihnen nicht allein seine Gnade, durch welche ihr Verstand hätte
erleuchtet und ihre Herzen ergriffen werden können, sondern zuwei
[S. 120]
len entzieht er ihnen
auch die Gaben, die sie hatten, und bringt sie mit solchen Gegenständen in
Beziehung, aus welchen ihr Verderbnis eine Gelegenheit zur Sünde macht, und
übergibt sie außerdem ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der
Macht Satans, wodurch es geschieht, daß sie sich selbst verhärten, sogar durch
dieselben Mittel, deren Gott sich zur Erweichung anderer bedient2).
"Mag ich zur
Hölle fahren, aber solch ein Gott wird niemals meine Achtung erzwingen" -
war bekanntlich Miltons Urteil über die Lehre1). Aber nicht auf eine Wertung,
sondern auf die geschichtliche Stellung des Dogmas kommt es für uns hier an.
Nur kurz können wir bei der Frage verweilen: wie diese Lehre entstand und
welchen Gedankenzusammenhängen in der calvinistischen Theologie sie sich
einfügte. Zwei Wege zu ihr waren möglich. Das Phänomen des religiösen
Erlösungsgefühls verknüpft sich gerade bei den aktivsten und
leidenschaftlichsten jener großen Beter, wie sie die Geschichte des
Christentums seit Augustin immer wieder gesehen hat, mit der sicheren
Empfindung, alles der ausschließlichen Wirksamkeit einer objektiven Macht,
nicht das geringste dem eigenen Wert zu danken zu haben: Die mächtige Stimmung
froher Sicherheit, in welche sich der ungeheure Krampf des Sündengefühls bei
ihnen entladet, bricht scheinbar gänzlich unvermittelt über sie herein und
vernichtet jede Möglichkeit der Vorstellung, daß dieses unerhörte
Gnadengeschenk irgendwelcher eigenen Mitwirkung verdankt werden oder mit
Leistungen oder Qualitäten des eigenen Glaubens und Wollens verknüpft sein
könnte. In jenen Zeiten seiner höchsten religiösen Genialität, in welcher
Luther seine "Freiheit eines Christenmenschen" zu schreiben fähig
war, stand auch ihm des "heimliche Ratschluß" Gottes als absolut
alleinige grundlose Quelle seines religiösen Gnadenbestandes am festesten2). Er
gab ihn auch später nicht förmlich auf, - aber nicht nur gewann der Gedanke
keine zentrale Stellung bei ihm, sondern er tritt immer mehr in den
Hintergrund, je "realpolitischer" er als verantwortlicher
Kirchenpolitiker notgedrungen wurde. Melanchthon vermied es ganz absichtlich,
die "gefährliche und dunkle" Lehre in die Augsburger Konfession
aufzunehmen und für die Kirchenväter des Luthertums stand es dogmatisch fest,
daß die Gnade verlierbar (amissibilis) ist und durch bußfertige Demut und
gläubiges Vertrauen auf Gottes Wort und die Sakramente neu gewonnen werden
kann. Gerade umgekehrt verlief der Prozeß bei Calvin3) in einer fühlbaren
Steigerung der Bedeutung der Lehre im Verlauf seiner polemischen
Auseinandersetzung mit dogmatischen Gegnern. Sie ist erst in der dritten
Auflage seiner "Institutio" voll entfaltet und gewinnt ihre zentrale
Stellung erst posthum in den großen Kulturkämpfen, welche die Synoden von
Dordrecht und Westminster abzuschließen suchten. Bei Calvin ist eben das
"decretum horribile" nicht wie bei Luther erlebt, sondern erdacht,
und deshalb in seiner Bedeutung gesteigert mit jeder weiteren Steigerung der gedanklichen
Konsequenz in der Richtung seines lediglich Gott, nicht den Menschen,
zugewendeten religiösen Interesses1). Nicht Gott ist um der Menschen, sondern
die Menschen sind um Gottes willen da, und alles Geschehen - also auch die für
Calvin zweifellose Tatsache, daß nur ein kleiner Teil der Menschen zur
Seligkeit berufen ist - kann seinen Sinn ausschließlich als Mittel zum Zweck
der Selbstverherrlichung von Gottes Majestät haben. Maßstäbe irdischer
"Gerechtigkeit" an seine souveränen Verfügungen anzulegen, ist
sinnlos und eine Verletzung seiner Majestät2), da er, und er allein, frei, d.
h. keinem Gesetz unterstellt ist, und seine Ratschlüsse uns nur soweit
verständlich und überhaupt bekannt sein können, als er es für gut befand, sie
uns mitzuteilen. An diese Fragmente der ewigen Wahrheit allein können wir uns
halten, alles andere: - der Sinn unseres individuellen Schicksals, - ist von
dunklen Geheimnissen umgeben, die zu ergründen unmöglich und vermessen ist.
Wenn etwa die Verworfenen über das ihrige als unverdient klagen wollten, so
wäre das ähnlich, als wenn die Tiere sich beschweren würden, nicht als Menschen
geboren zu sein. Denn alle Kreatur ist durch eine unüberbrückbare Kluft von
Gott geschieden und verdient vor ihm, soweit er nicht zur Verherrli
[S. 122]
chung seiner Majestät
ein anderes beschlossen hat, lediglich den ewigen Tod. Was wir wissen, ist nur:
daß ein Teil der Menschen selig wird, ein anderer verdammt bleibt. Anzunehmen,
daß menschliches Verdienst oder Verschulden dieses Schicksal mitbestimme, hieße
Gottes absolut freie Entschlüsse, die von Ewigkeit her feststehen, als durch
menschliche Einwirkung wandelbar ansehen: ein unmöglicher Gedanke. Aus dem
menschlich verständlichen "Vater im Himmel" des Neuen Testaments, der
sich über die Wiederkehr des Sünders freut, wie ein Weib über den
wiedergefundenen Groschen, ist hier ein jedem menschlichen Verständnis
entzogenes transzendentes Wesen geworden, welches von Ewigkeit her nach
gänzlich unerforschlichen Ratschlüssen jedem einzelnen sein Geschick zugeteilt
und über alles Kleinste im Kosmos verfügt hat1). Gottes Gnade ist, da seine
Ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die, welchen er sie
zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie versagt.
In ihrer pathetischen
Unmenschlichkeit mußte diese Lehre nun für die Stimmung einer Generation, die
sich ihrer grandiosen Konsequenz ergab, vor allem eine Folge haben: ein Gefühl
einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums2). In der für
die Menschen der Reformationszeit entscheidendsten Angelegenheit des Lebens:
der ewigen Seligkeit, war der Mensch darauf verwiesen, seine Straße einsam zu
ziehen, einem von Ewigkeit her feststehenden Schicksal entgegen. Niemand konnte
ihm helfen. Kein Prediger: - denn nur der Erwählte kann das Gotteswort
spiritualiter verstehen. Kein Sakrament: - denn die Sakramente sind zwar von
Gott zur Mehrung seines Ruhms verordnet und deshalb unverbrüchlich zu halten,
aber kein Mittel, Gottes Gnade zu erlangen, sondern subjektiv nur "externa
subsidia" des Glaubens. Keine Kirche: denn es gilt zwar der Satz
"extra ecclesiam nulla salus" in dem Sinne, daß, wer sich von der
wahren Kirche fernhält, nimmermehr zu den von Gott Erwählten gehören kann3);
aber zur (äußeren) Kirche gehören auch die Reprobierten, ja sie sollen dazu
gehören und ihren Zuchtmitteln
[S. 123]
unterworfen werden,
nicht um dadurch zur Seligkeit zu gelangen, - das ist unmöglich, sondern weil
auch sie zu Gottes Ruhm zur Innehaltung seiner Gebote gezwungen werden müssen.
Endlich auch: - kein Gott: denn auch Christus ist nur für die Erwählten
gestorben4) denen Gott seinen Opfertod zuzurechnen von Ewigkeit her beschlossen
hatte. Dies: der absolute (im Luthertum noch keineswegs in allen Konsequenzen
vollzogene) Fortfall kirchlich - sakramentalen Heils, war gegenüber dem
Katholizismus das absolut Entscheidende. Jener große religionsgeschichtliche
Prozeß der Entzauberung der Welt1), welcher mit der altjüdischen Prophetie
einsetzte und, im Verein mit dem hellenischen wissenschaftlichen Denken, alle
magischenMittel der Heilssuche als Aberglaube und Frevel verwarf, fand hier
seinen Abschluß. Der echte Puritaner verwarf ja sogar jede Spur von religiösen
Zeremonien am Grabe und begrub die ihm Nächststehenden sang- und klanglos, um
nur ja keinerlei "superstition": kein Vertrauen auf Heilswirkungen
magisch - sakramentaler Art, aufkommen zu lassen2). Es gab nicht nur kein
magisches, sondern überhaupt kein Mittel, die Gnade Gottes dem zuzuwenden, dem
Gott sie zu versagen sich entschlossen hatte. Verbunden mit der schroffen Lehre
von der unbedingten Gottferne und Wertlosigkeit alles rein Kreatürlichen
enthält diese innere Isolierung des Menschen einerseits den Grund für die
absolut negative Stellung des Puritanismus zu allen sinnlich - gefühls- mäßigen
Elementen in der Kultur und subjektiven Religiosität - weil sie für das Heil
unnütz und Förderer sentimentaler Illusionen und des kreaturvergötternden
Aberglaubens sind - und damit zur grundsätzlichen Abwendung von aller
Sinnenkultur überhaupt3). Andrerseits aber bildet sie eine der Wurzeln jenes
illusionslosen und pessimistisch gefärbten Individualismus4), wie er in dem
"Volkscharakter" und den Institutionen der Völker mit puritanischer
Vergangenheit sich noch heute auswirkt, - in so auffälligem Gegensatz zu der
ganz andersartigen Brille, durch welche später die "Aufklärung" die
Menschen ansah1). Wir finden die Spuren dieses Einflusses der
[S. 124]
Gnadenwahllehre in der
uns beschäftigenden Zeit deutlich in elementaren Erscheinungen der
Lebensführung und Lebensanschauung wieder, und zwar auch da, wo ihre Geltung
als Dogma schon im Schwinden war: sie war ja eben auch nur die extremsteForm
jener Exklusivität des Gottvertrauens, auf deren Analyse es hier ankommt. So z.
B. in der auffallend oft wiederkehrenden Warnung namentlich der englischen
puritanischen Literatur vor jedem Vertrauen auf Menschenhilfe und
Menschenfreundschaft2).
[...]
[S. 125]
Es scheint zunächst
ein Rätsel, wie mit jener Tendenz zur innerlichen Lösung des Individuums aus
den engsten Banden, mit denen es die Welt umfangen hält, die unbezweifelbare
Ueberlegenheit des Calvinismus in der sozialen Organisation sich verknüpfen
konnte3). Allein gerade sie folgt, so seltsam es zunächst scheint, aus der
spezifischen Färbung, welche die christliche "Nächstenliebe" unter
dem Druck der inneren Isolierung des einzelnen durch den calvinistischen
Glauben annehmen mußte. Sie folgt daraus zunächst dogmatisch4). Die
[S. 126]
Welt ist dazu - und
nur dazu - bestimmt: der Selbstverherrlichung Gottes zu dienen, der erwählte
Christ ist dazu - und nur dazu - da, den Ruhm Gottes in der Welt durch
Vollstreckung seiner Gebote an seinem Teil zu mehren. Gott aber will die
soziale Leistung des Christen, denn er will, daß die soziale Gestaltung des
Lebens seinen Geboten gemäß und so eingerichtet werde, daß sie jenem Zweck
entspreche. Die soziale1) Arbeit des Calvinisten in der Welt ist lediglich
Arbeit "in majorem gloriam Dei". Diesen Charakter trägt daher auch
die Berufs- arbeit, welche im Dienste des diesseitigen Lebens der Gesamtheit
steht. Schon bei Luther fanden wir die Ableitung der arbeitsteiligen
Berufsarbeit aus der "Nächstenliebe". Aber was bei ihm ein
unsicherer, rein konstruktiv - gedanklicher Ansatz blieb, wurde nun bei den
Calvinisten ein charakteristischer Teil ihres ethischen Systems. Die
"Nächstenliebe" äußert sich - da sie ja nur Dienst am Ruhme Gottes2),
nicht: der Kreatur, sein darf 3) – in erster Linie in Erfüllung der durch die
lex naturae gegebenen Berufsaufgaben, und sie nimmt dabei einen eigentümlich
sachlich - unpersönlichen Charakter an: den eines Dienstes an der rationalen
Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos: Denn die wunderbar
zweckvolle Gestaltung und Einrichtung dieses Kosmos, welcher ja nach der
Offenbarung der Bibel und ebenso nach der natürlichen Einsicht augenscheinlich
darauf zugeschnitten ist, dem
"Nutzen" des Menschengeschlechtes zu dienen, läßt die Arbeit
im Dienst dieses unpersönlichen gesellschaftlichen Nutzens als Gottes Ruhm
fördernd und also gottgewollt erkennen. Die völlige Ausschaltung des
Theodizeeproblems und aller jener Fragen nach dem "Sinn" Welt und des
Lebens, an welcher sich andere zerrieben, verstand sich für den Puritaner ganz
von selbst wie - aus ganz andern Gründen - für den Juden. Und übrigens in
gewissem Sinn für die nichtmystische christliche Religiosität überhaupt. Zu
dieser Kräfteökonomie trat - beim Calvinismus noch ein weiterer in gleicher
Richtung wirkender Zug hinzu. Der Zwiespalt zwischen dem "Einzelnen"
und der "Ethik" (in Sören Kierkegaards Sinn),
[S. 127]
existierte für den
Calvinismus nicht, obwohl er den Einzelnen in religiösen Dingen ganz auf sich
selbst stellte. Die Gründe dafür und die Bedeutung dieser Gesichtspunkte für
den politischen und ökonomischen Rationalismus des Calvinismus zu analysieren
ist hier nicht der Ort. Die Quelle des utilitarischen Charakters der
calvinistischen Ethik liegt darin, und ebenso gingen wichtige
Eigentümlichkeiten der calvinistischen Berufskonzeption daraus hervor1). - Hier
kehren wir aber zunächst noch einmal zur Betrachtung speziell der
Prädestinationslehre zurück.
Denn das für uns
entscheidende Problem ist erst: wie wurde diese Lehre ertragen2) in einer Zeit,
welcher das Jenseits nicht nur wichtiger, sondern in vieler Hinsicht auch
sicherer war, als alle Interessen des diesseitigen Lebens1). Die eine Frage
mußte ja alsbald für jeden einzelnen Gläubigen entstehen und alle anderen
Interessen in den Hintergrund drängen: Bin ich denn erwählt ? Und wie kann
ichdieser Erwählung sicher werden2)? - Für Calvin selbst war dies kein Problem.
Er fühlte sich als "Rüstzeug" und war seines Gnadenstandes sicher.
Demgemäß hat er auf die Frage, wodurch der einzelne seiner eigenen Erwählung
gewiß werden könne, im Grunde genommen nur die Antwort: daß wir uns an der
Kenntnis des Beschlusses Gottes und an dem durch den wahren Glauben bewirkten
beharrlichen Zutrauen auf Christus genügen lassen sollen. Er verwirft
prinzipiell die Annahme: man könne bei anderen aus ihrem Verhalten erkennen, ob
sie erwählt oder verworfen seien, als einen vermessenen Versuch, in die
Geheimnisse Gottes einzudringen. Die Erwählten unterscheiden sich in diesem
Leben äußerlich in nichts von den Verworfenen1) und auch alle subjektiven
Erfahrengen der Erwählten sind - als "ludibria spiritus sancti" -
auch bei den Verworfenen möglich, mit einziger Ausnahme jenes
"finaliter" beharrenden gläubigen Vertrauens. Die Erwählten sind und
bleiben also Gottes unsichtbare Kirche. Anders ganz naturgemäß die Epigonen -
schon Beza - und vor allem die breite Schicht der Alltagsmenschen. Für sie
mußte die "certitudo salutis" im
[S. 128]
Sinn der Erkennbarkeit
des Gnadenstandes zu absolut überragender Bedeutung aufsteigen1) und so ist
denn auch überall da, wo die Prädestinationslehre festgehalten wurde, die Frage
nicht ausgeblieben, ob es sichere Merkmale gebe, an denen man die Zugehörigkeit
zu den "electi" erkennen könne. Nicht nur in der Entwicklung des auf
dem Boden der reformierten Kirche zuerst erwachsenen Pietismus hat diese Frage
dauernd eine zentrale Bedeutung gehabt, ist in gewissem Sinne für ihn zeitweise
geradezu konstitutiv gewesen, sondern wir werden, wenn wir die politisch und
sozial so weittragende Bedeutung der reformierten Abendmahlslehre und
Abendmahlspraxis betrachten, noch davon zu reden haben, welche Rolle auch
außerhalb des Pietismus die Feststellbarkeit des Gnadenstandes des einzelnen z.
B. für die Frage seiner Zulassung zum Abendmahl, d. h. zu der zentralen, für
die soziale Stellung der Teilnehmer entscheidenden Kulthandlung, während des
ganzen 17. Jahrhunderts gespielt hat.
Es war zum mindesten,
soweit die Frage des eigenenGnadenstandes auftauchte, unmöglich, bei Calvins
von der orthodoxen Doktrin wenigstens im Prinzip nie förmlich aufgegebenen2)
Verweisung auf das Selbstzeugnis des beharrenden Glaubens, den die Gnade im Menschen
wirkt, stehenzubleiben3). Vor allem die Praxis der Seelsorge, welche auf
Schritt und Tritt mit den durch die Lehre geschaffenen Qualen zu tun hatte,
konnte es nicht. Sie fand sich mit diesen Schwierigkeiten in verschiedener Art
ab4). Soweit dabei nicht die Gnadenwahl uminterpretiert, gemildert und im
Grunde aufgegeben wurde5), treten namentlich zwei miteinander verknüpfte Typen
seelsorgerischer Ratschläge als charakteristisch hervor. Es wird einerseits
schlechthin zu Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten, und jeden Zweifel
als Anfechtung des Teufels abzuweisen6), da ja mangelnde Selbstgewißheit Folge
unzulänglichen Glaubens, also unzulänglicher Wirkung der Gnade sei. Die Mahnung
des Apostels zum "Festmachen" der eigenen Berufung wird also hier als
Pflicht, im täglichen Kampf sich die subjektive Gewißheit der eigenen
Erwähltheit und Rechtferti
[S. 129]
gung zu erringen,
gedeutet. An Stelle der demütigen Sünder, denen Luther, wenn sie in reuigem
Glauben sich Gott anvertrauen, die Gnade verheißt, werden so jene
selbstgewissen "Heiligen" gezüchtet1), die wir in den stahlharten
puritanischen Kaufleuten jenes heroischen Zeitalters des Kapitalismus und in
einzelnen Exemplaren bis in die Gegenwart wiederfinden. Und andererseits wurde,
um jene Selbstgewißheit zu erlangen, als hervorragendstes Mittel rastlose
Berufsarbeit eingeschärft2). Sie und sie allein verscheuche den religiösen
Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes.
Daß die weltliche
Berufsarbeit zu dieserLeistung für fähig galt, - daß sie, sozusagen, als das
geeignete Mittel zum Abreagieren der religiösen Angstaffekte behandelt werden
könnte - hat nun aber seinen Grund in tiefliegenden Eigentüm- lichkeiten des in
der reformierten Kirche gepflegten religiösen Empfindens, welche in ihrem
Gegensatz gegen das Luthertum am deutlichsten in der Lehre von der Natur des
rechtfertigenden Glaubens zutage treten. Diese Unterschiede sind in
Schneckenburgers schönem Vorlesungszyklus so fein und mit einer solchen Zurückstellung
aller Werturteile rein sachlich analysiert3), daß die nachfolgenden kurzen
Bemerkungen im wesentlichen einfach an seine Darstellung anknüpfen können.
[...]
[S. 131]
Stellt man nun weiter
die Frage, an welchen Früchten der Reformierte denn den rechten Glauben
unzweifelhaft zu erkennen vermöge, so wird darauf geantwortet: an einer
Lebensführung des Christen, die zur Mehrung von Gottes Ruhm dient. Was dazu
dient, ist aus seinem, direkt in der Bibel offenbarten oder indirekt aus den
von ihm geschaffenen zweckvollen Ordnungen der Welt (lex naturae)
ersichtlichen, Willen zu entnehmen. Speziell durch Vergleichung des eigenen
Seelenzustandes mit dem welcher nach der Bibel den Erwählten, z. B. den
Erzvätern eignete, kann man seinen eigenen Gnadenstand kontrollieren1). Nur ein
Erwählter hat wirklich die fides efficax2), nur er ist fähig, vermöge der
Wiedergeburt (regeneratio) und der aus dieser folgenden Heiligung
(sanctificatio) seines ganzen Lebens Gottes Ruhm durch wirklich, nicht nur
scheinbar, gute Werke zu mehren. Und indem er sich dessen bewußt ist, daß sein
Wandel - wenigstens dem Grundcharakter und konstanten Vorsatz (propositum
oboedientiae) nach - auf einer in ihm lebenden Kraft3) zur Mehrung des Ruhmes
Gottes ruht, also nicht nur gottgewollt, sondern vor allem gottgewirkt ist4),
erlangt er jenes höchste Gut, nach dem diese Religiosität strebte: die
Gnadengewißheit5). Daß sie zu erlangen sei, wurde aus 2. Kor. 13, 5 erhärtet6).
So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der
Seligkeit zu dienen - denn auch der Erwählte bleibt Kreatur, und alles was er
tut bleibt in unendlichem Abstand hinter Gottes Anforderungen zurück, - so
unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung7). Sie sind das technische
Mittel, nicht: die Seligkeit zu erkaufen, sondern: die Angst um die Seligkeit
loszuwerden. In diesem Sinn werden sie gelegentlich direkt als "zur
Seligkeit unentbehrlich" bezeichnet8) oder die "possessio
salutis" an sie geknüpft9). Das bedeutet nun aber praktisch, im Grunde:
daß Gott dem hilft, der sich selber hilft10), daß also der Calvinist, wie es
auch ge
[S. 132]
legentlich ausgedrückt
wird, seine Seligkeit - korrekt müßte es heißen: die Gewißheit von derselben -
selbst "schafft"11), daß aber dieses Schaffen nicht wie im Katholizismus
in einem allmählichen Aufspeichern verdienstlicher Einzelleistungen bestehen
kann, sondern in einer zu jeder Zeitvor der Alternative: erwählt oder verworfen
? stehenden systematischen Selbstkontrolle. Damit gelangen wir zu einem sehr
wichtigen Punkt unserer Betrachtungen.
Immer wieder ist
bekanntlich jenem in den reformierten Kirchen und Sekten mit steigender
Deutlichkeit1) sich herausarbeitenden Gedankengang von lutherischer Seite der
Vorwurf der "Werkheiligkeit" gemacht worden2). Und, - so berechtigt
der Widerspruch der Angegriffenen gegen die Identifikation ihrer dogmatischen
Stellung mit der katholischen Lehre war, sicherlich mit Recht, sobald die
praktischen Konsequenzen für das Alltagsleben der reformierten
Durchschnittschristen damit gemeint sind3). Denn es hat vielleicht nie eine
intensivere Form religiöser Schätzung des sittlichen Handelns gegeben, als die,
welche der Calvinismus in seinen Anhängern erzeugte. Aber entscheidend für die
praktische Bedeutung dieser Art "Werkheiligkeit" ist erst die
Erkenntnis der Qualitäten, welche die ihr entsprechende Lebensführung
charakterisierten und sie von dem Alltagsleben eines mittelalterlichen
Durchschnittschristen unterschieden. Man kann sie wohl etwa so zu formulieren
versuchen: Der normale mittelalterliche katholische Laie1) lebte in ethischer
Hinsicht gewissermaßen "von der Hand in den Mund". Er erfüllte
zunächst gewissenhaft die traditionellen Pflichten. Seine darüber
hinausgehenden "guten Werke" aber blieben normalerweise eine nicht
notwendig zusammenhängende, zum wenigsten eine nicht notwendigerweise zu einem
Lebenssystem rationalisierte Reihe einzelner Handlungen, die er je nach
Gelegenheit, etwa zur Ausgleichung konkreter Sünden oder unter dem Einfluß der
Seelsorge oder gegen Ende seines Lebens gewissermaßen als Versicherungsprämie
vollzog. Natürlich war die katholische Ethik "Gesinnungs"ethik. Aber
die konkrete "intentio" der
[S. 133]
einzelnen Handlung
entschied über deren Wert. Und die einzelne - gute oder schlechte - Handlung
wurde den Handelnden angerechnet, beeinflußte sein zeitliches und ewiges
Schicksal. Ganz realistisch rechnete die Kirche damit, daß der Mensch keine
absolut eindeutig determinierte und zu bewertende Einheit, sondern daß sein
sittliches Leben (normalerweise) ein durch streitende Motive beeinflußtes oft
sehr widerspruchvolles Sichverhalten sei. Gewiß forderte auch sie von ihm als
Ideal prinzipielle Wandlung des Lebens. Aber eben diese Forderung schwächte sie
(für den Durchschnitt) durch eines ihrer allerwichtigsten Macht- und
Erziehungsmittel wieder ab: durch das Bußsakrament, dessen Funktion tief mit
der innersten Eigenart der katholischen Religiosität verknüpft war.
Die
"Entzauberung" der Welt: die Ausschaltung der Magie als
Heilsmittel1), war in der katholischen Frömmigkeit nicht zu den Konsequenzen
durchgeführt, wie in der puritanischen (und vor ihr nur in der jüdischen)
Religiosität. Dem Katholiken2) stand die Sakramentsgnade seiner Kirche als
Ausgleichsmittel eigner Unzulänglichkeit zur Verfügung: der Priester war ein Magier,
der das Wunder der Wandlung vollbrachte und in dessen Hand die Schlüsselgewalt
gelegt war. Man konnte sich in Reue und Bußfertigkeit an ihn wenden, er
spendete Sühne, Gnadenhoffnung, Gewißheit der Vergebung und gewährte damit die
Entlastung von jener ungeheuren Spannung, in welcher zu leben das unentrinnbare
und durch nichts zu 1indernde Schicksal des Calvinisten war. Für diesen gab es
jene freundlichen und menschlichen Tröstungen nicht und er konnte auch nicht
hoffen, Stunden der Schwäche und des Leichtsinns durch erhöhten guten Willen in
andern Stunden wettzumachen, wie der Katholik und auch der Lutheraner. Der Gott
des Calvinismus verlangte von den Seinigen nicht einzelne "gute
Werke", sondern eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit3). Von dem
katholischen, echt menschlichen Auf und Ab zwischen Sünde, Reue, Buße,
Entlastung, neuer Sünde oder von einemdurch zeitliche Strafen abzubüßenden,
durch kirchliche Gnadenmittel zu begleichenden
[S. 134]
Saldo des Gesamtlebens
war keine Rede. Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wurde so ihrer Plan-
und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen
Lebensführung ausgestaltet. Es ist ja kein Zufall, daß der Name der
"Methodisten" ebenso an den Trägern der letzten großen Wiederbelebung
puritanischer Gedanken im 18. Jahrhundert haften geblieben ist, wie die dem
Sinne nach durchaus gleichwertige Bezeichnung "Präzisisten" auf ihre
geistigen Vorfahren im 17. Jahrhundert angewendet worden war1). Denn nur in
einer fundamentalen Umwandlung des Sinnes des ganzen Lebens in jeder Stunde und
jeder Handlung2) konnte sich das Wirken der Gnade als einer Enthebung des
Menschen aus dem Status naturae in den Status gratiae bewähren. Das Leben des
"Heiligen" war ausschließlich auf ein transzendentes Ziel: die
Seligkeit, ausgerichtet, aber eben deshalb in seinem diesseitigen Verlauf
durchweg rationalisiert und beherrscht von dem ausschließlichen Gesichtspunkt:
Gottes Ruhm auf Erden zu mehren; - und niemals ist mit dem Gesichtspunkt "omnia
in majorern dei gloriam" so bitterer Ernst, gemacht worden3). Nur ein
durch konstante Reflexion geleitetes Leben aber konnte als Ueberwindung des
Status naturalis gelten: Descartes' "cogito ergo sum" wurde in dieser
ethischen Umdeutung von den zeitgenössischen Puritanern übernommen4). Diese
Rationalisierung nun gab der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch
asketischen Zug und begründete ebenso ihre innere Verwandtschaft5) wie ihren
spezifischen Gegensatz zum Katholizismus.
[...]
[S. 139]
Jene Systematisierung
der ethischen Lebensführung nun, welche die Askese des calvinistischen
Protestantismus mit den rationalen Formen des katholischen Ordenslebens
gemeinsam hat, tritt schon rein äußerlich in der Art zutage, wie der
"präzise" puritanische Christ seinen Gnadenstand fortlaufend
kontrollierte1). Zwar das religiöse Tagebuch, in welches Sünden, Anfechtungen
und die in der Gnade gemachten Fortschritte fortlaufend oder auch tabellarisch
eingetragen wurden, war der, in erster Linie von den Jesuiten geschaffenen,
modern -katholischen Frömmigkeit (namentlich Frankreichs) mit derjenigen der
kirchlich eifrigsten reformierten Kreise2) gemeinsam. Aber während es im
Katholizismus dem Zweck der Vollständigkeit der Beichte diente oder dem
"directeur de 1'âme" die Unterlage zu seiner autoritären Leitung des
Christen bzw. (meist) der Christin bot, "fühlte sich" der reformierte
Christ mit seiner Hilfe selbst "den Puls". Von allen bedeutenden
Moraltheologen wird es erwähnt, noch Benjamin Franklins tabellarisch -
statistische Buchführung über seine Fortschritte in den einzelnen Tugenden gibt
ein klassisches Beispiel dafür3).
[S. 140]
Und andererseits wurde
das alte mittelalterliche (und schon antike) Bild von der Buchführung Gottes
bei Bunyan bis zu der charakteristischen Geschmacklosigkeit gesteigert, daß das
Verhältnis des Sünders zu Gott mit dem eines Kunden zum shopkeeper verglichen
wird: wer einmal in die Kreide geraten ist, wird mit dem Ertrag all seiner
eigenen Verdienste allenfalls die auflaufenden Zinsen, niemals aber die Hauptsumme
abtragen können4). Wie sein eigenes Verhalten, so kontrollierte aber der
spätere Puritaner auch dasjenige Gottes und sah in allen Einzelfügungen des
Lebens seinen Finger. Und, im Gegensatz zu Calvins genuiner Lehre, wüßte er
daher, warum Gott diese oder jene Verfügung traf. Die Heiligung des Lebens
konnte so fast den Charakter eines Geschäftsbetriebs annehmen5). Eine
penetrante Christianierung des ganzen Daseins war die Konsequenz dieser
Methodik der ethischen Lebensführung, welche der Calvinismus im Gegensatz zum
Luthertum erzwang. Daß diese Methodik für die Beeinflussung des Lebens das
Entscheidende war, hat man sich zum richtigen Verständnis der Art der Wirkung
des Calvinismus stets vor Augen zu halten. Einerseits ergibt sich daraus, daß
eben erst diese Ausprägung jenen Einfluß üben konnte, andererseits aber: daß
auch andere Bekenntnisse, wenn ihre ethischen Antriebe in diesem entscheidenden
Punkt: dem Bewährungsgedanken, die gleichen waren, in der gleichen Richtung
wirken mußten.
[...]
[S. 179]
Die innerweltliche
protestantische Askese - so können wir das bisher Gesagte wohl zusammenfassen -
wirkte, also mit voller Wucht gegen den unbefangenen Genuß des Besitzes, sie
schnürte die Konsumtion,speziell die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastete sie
im psychologischen Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der
traditionalistischen Ethik, sie sprengt die Fesseln des Gewinnstrebens, indem
sie es nicht nur legalisierte, sondern (in dem dargestellten Sinn) direkt als
gottgewollt ansah. Der Kampf gegen Fleischeslust und das Hängen an äußeren
Gütern war, wie neben den Puritanern auch der große Apologet des Quäkertums,
Barclay, ausdrücklich bezeugt, kein Kampf gegen rationalen Erwerb, sondern
gegen irrationale Verblendung des Besitzes. Diese aber lag vor al1em in der
Wertschätzung der als Kreaturvergötterung1) verdammlichen ostensiblen Formen
des Luxus, wie sie dem feudalen Empfinden so nahe lagen, anstatt der von Gott
gewollten rationalen und utilitarischen Verwendung für die Lebenszwecke des
einzelnen und der Gesamtheit. Nicht Kasteiung2) wollte sie dem Besitzenden
aufzwingen, sondern Gebrauch seines Besitzes für notwendige und praktisch
nützliche Dinge. Der Begriff des "comfort" umspannt in
charakteristischer Weise den Preis der ethisch statthaften Verwendungszwecke,
und es ist natürlich kein Zufall, daß man die Entwicklung des Lebensstils, der
sich an jenen Begriff heftet, gerade bei den konsequentesten Vertretern dieser
ganzen Lebensanschauung: den Quäkern, am frühesten und deutlichsten beobachtet
hat. Dem Flitter und Schein chevaleresken Prunkes, der, auf unsolider
ökonomischer Basis ruhend, die schäbige Eleganz der nüchternen Einfachheit
vorzieht, setzten sie die sau
[S. 180]
bere und solide
Bequemlichkeit des bürgerlichen "home" als Ideal entgegen.
Auf der Seite der
Produktion des privatvirtschaftlichen Reichtums kämpfte die Askese gegen
Unrechtlichkeit ebenso wie gegen rein triebhafte Habgier, - denn diese war es,
welche sie als "covetousness", als "Mammonismus" usw.
verwarf : das Streben nach Reichtum zu dem Endzweck, reich zu sein. Denn der
Besitz als solcher war Versuchung. Aber hier war nun die Askese die Kraft,
"die stets das Gute will und stets das Böse" - das in ihrem Sinn
Böse: den Besitz und seine Versuchungen - "schafft". Denn nicht nur
sah sie, mit dem Alten Testament und in voller Analogie zu der ethischen
Wertung der "guten Werke", zwar in dem Streben nach Reichtum als
Zweck den Gipfel des Verwerflichen, in der Erlangung des Reichtums als Frucht
der Berufsarbeit, aber den Segen Gottes. Sondern, was noch wichtiger war: die
religiöse Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen, weltlichen
Berufsarbeit als schlechthin höchsten asketischen Mittels und zugleich
sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergsborenen Menschen und seiner
Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener
Lebensauffassung sein, die wir hier als "Geist" des Kapitalismus
bezeichnet haben2). Und halten wir nun noch jene Einschnürung der Konsumtion
mit dieser Entfesselung des Erwerbsstrebens zusammen, so ist das äußere
Ergebnis naheliegend: Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang1).